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ANGEKLAGTER ARGENTINISCHER EX-OFFIZIER GESTORBEN. GERECHTIGKEIT FÜR GAMBIA

DEZEMBER 2023 | NEWSLETTER 94

Vor 75 Jahren, am 10. Dezember 1948, verabschiedeten die Vereinten Nationen die  Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Entstanden als Lehre aus den Schrecken des Zweiten Weltkriegs, wurde sie zu einer der Grundlagen des internationalen Rechts. Doch die in ihr verankerten Grundsätze mussten stets entschieden verteidigt werden. Das ist der Kampf, den es auch heute, angesichts der Kriege in der Ukraine und zwischen Israel und Hamas, konsequent zu führen gilt.


Selbst in diesen von Vernichtung und Zerstörung geprägten Zeiten gibt es Zeichen der Hoffnung für die internationale Gerechtigkeit. Mit Unterstützung des ECCHR wurden in diesem Jahr in zwei Fällen im Zusammenhang mit der Diktatur in Argentinien wichtige Erfolge erzielt: Ein ehemaliger Marineoffizier und ein ehemaliger Geschäftsführer von Mercedes-Benz Argentinien wurden nach Jahrzehnten der Straflosigkeit angeklagt.


2023 ist auch das Jahr relevanter Fortschritte beim Thema Wirtschaft und Menschenrechte. Seit dem Inkrafttreten des Lieferkettengesetzes im Januar diesen Jahres müssen deutsche Unternehmen gewährleisten, dass in ihren globalen Lieferketten keine Menschenrechte verletzt werden. Auf Grundlage dieses neuen Gesetzes haben wir in diesem Jahr mehrere Klagen eingereicht, unter anderem gegen bekannte deutsche Automobilhersteller, Supermarktketten und Textilmarken.


Erfahren Sie mehr über unsere Arbeit in diesem Newsletter, der ohne Ihre Unterstützung nicht erscheinen könnte. Wir danken sehr herzlich dafür.


Wolfgang Kaleck, ECCHR Generalsekretär

Das Denkmal in Buenos Aires erinnert an die Opfer der Militärdiktatur von Videla. © ECCHR

Angeklagter argentinischer Ex-Militär stirbt vor Prozessbeginn

Deutschland hat in den vergangenen Jahren einige Anstrengungen unternommen, kein sicherer Zufluchtsort für diejenigen zu werden, die in anderen Ländern Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen. Geht es allerdings um deutsche Staatsbürger, reagieren die Strafverfolgungsbehörden oft zögerlich. Der Fall von Luis Kyburg setzt ein klares Zeichen, dass Täter aus kriminellen Diktaturen nicht ungestraft davonkommen, auch wenn sie deutsche Staatsbürger sind. Nach beinahe zehnjährigen Ermittlungen erhob die Berliner Generalstaatsanwaltschaft (GStA) Anklage wegen Mordes in 23 Fällen gegen den ehemaligen argentinischen Marineoffizier Luis Kyburg. Doch diese lang erwartete Entscheidung kam zu spät, da der Angeklagte im Oktober verstarb.


Der Mann mit der doppelten Staatsbürgerschaft hatte sich aus Argentinien absetzen und nach Deutschland fliehen können. Seit 2013 wurde mit einem Haftbefehl wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit international nach ihm gefahndet. 2014 leitete die Berliner GStA Ermittlungen wegen Mordverdacht gegen Kyburg ein. 2018 stellte Anahí Marocchi, die Schwester eines seiner Opfer, mit Unterstützung des ECCHR Strafanzeige gegen den Ex-Offizier.


Unter Rafael Videlas Militärjunta diente Kyburg zwischen Februar und November 1976 als Vizekommandant einer Kampfschwimmereinheit am Marinestützpunkt Mar del Plata. Sein Vorgesetzter sowie 48 weitere dort stationierte Offiziere wurden in Argentinien bereits wegen Folter, Mord, Entführung und anderer Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Kyburg dagegen genoss zehn Jahre Straflosigkeit und konnte in Berlin sein Leben leben.


Auch wenn die Anklage in diesem Fall zu spät kam, beweist sie, dass die deutsche Justiz endlich bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Damit erfahren die Hinterbliebenen der Diktaturopfer ein Mindestmaß an Gerechtigkeit.


Mehr zum Fall

VÖLKERSTRAFTATEN UND RECHTLICHE VERANTWORTUNG

Lebenslange Haft für Mitglied gambischer Streitkräfte

Am 30. November 2023 verurteilte das Oberlandesgericht Celle einen Fahrer der sogenannten Junglers in Gambia. Bai Lowe hat sich der Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie des Mordes bzw. versuchten Mordes schuldig gemacht. Die Junglers waren ein Spezialkommando der gambischen Streitkräfte im Dienst des autoritären Ex-Diktators Yahya Jammeh. Er hetzte sie gegen seine politischen Gegner im Land. Sie terrorisierten die Zivilbevölkerung und ermordeten Oppositionelle, darunter auch ein AFP-Journalist.


Im Zusammenhang mit dem aktuell laufenden Wahrheits- und Versöhnungsprozess im Land unterstützt das ECCHR die gambische Zivilgesellschaft in ihrem Kampf um Entschädigung für die Straftaten der Jammeh-Diktatur. Die Erkenntnisse aus dem nun laufenden Prozess in Deutschland – dem ersten zur gambischen Diktatur nach dem Weltrechtsprinzip – sind ein wichtiger Beitrag auch für die zukünftige Strafverfolgung von hochrangigen Tätern.


Mehr zum Fall

Keine rechtliche Grundlage für deutsches Einreiseverbot gegen Schriftsteller und ehemaligen Guantanamo-Häftling

14 Jahre wurde Mohamedou Ould Slahi illegal in Guantánamo Bay festgehalten und gefoltert, bis die US-Behörden ihn 2016 für „ungefährlich“ erklärten und frei ließen. Obwohl Amerika ihn nicht länger als Bedrohung ansieht, wird ihm in Deutschland die Einreise verweigert. Slahis Familie lebt hier. Er selbst hat sich als Autor und Friedensaktivist in Holland niedergelassen. Mehrere seiner zahlreichen Theaterproduktionen waren auch auf deutschen Bühnen zu sehen. Mit Unterstützung des ECCHR und seines Anwalts klagte Slahi gegen das Einreiseverbot. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf entschied am 22. November 2023, dieses sei ungesetzlich. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig.


Lesen Sie die Pressemitteilung

Der Marinestützpunkt Mar del Plata in Argentinien, wo Kyburgs Militäreinheit Folterungen, gewaltsames Verschwindenlassen und Mord begangen hat. © Martín Otero

STRAFFREIHEIT WELTWEIT BEKÄMPFEN

Das ECCHR engagiert sich, damit die Verantwortlichen für internationale Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden, egal wo sie sich aufhalten und wie lange ihre Straftaten zurückliegen.

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WIRTSCHAFT UND MENSCHENRECHTE

Rechtshilfe für Klimaklagende der Insel Pari

Die Folgen der Klimakrise treffen die Menschen auf der indonesischen Insel Pari in Echtzeit. Durch den steigenden Meeresspiegel wird die Insel zunehmend unbewohnbar. Im Verfahren gegen die Schweizer Zementfirma Holcim muss die dortige Justiz jetzt entscheiden, ob ein Unternehmen für seinen Beitrag zum Klimawandel zivilrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann. Der Prozess ist eine Premiere. Über den Antrag der Klagenden auf Rechtshilfe hat das Gericht bereits festgestellt, dass die klagende Partei rechtlich „mittellos“ sei, in der Sache aber durchaus Erfolgsaussichten bestünden. Damit ist der Anspruch auf Rechtshilfe begründet und sie darf gewährt werden. Diese Entscheidung bestätigt das Recht der Menschen aus dem Globalen Süden, ein unabhängiges Gericht in der Schweiz anrufen zu können.


Mehr zum Fall

Lieferkettengesetz zeigt Wirkung

Neue Forschungsergebnisse pakistanischer Gewerkschaften und deutscher Menschenrechtsorganisationen verweisen auf alarmierende Verstöße gegen die Arbeitsrechte in den Textilfabriken Pakistans: Die Beschäftigten werden unter Mindestlohn vergütet, sie arbeiten ohne Verträge und Sozialversicherung, Renten werden nicht gezahlt, und Gewerkschaften können sich nicht frei betätigen. Der Bericht „Keine Verträge, keine Rechte: Wie die Modeindustrie ihre Arbeiter*innen um Mindestlöhne betrügt“ offenbart, dass diese Rechtsverstöße in den Lieferketten der deutschen Modebranche bereits seit Jahren gang und gäbe sind und fordert die betreffenden Unternehmen zum sofortigen Handeln auf. Bislang sind erst wenige Firmen diesem Appell gefolgt, doch das deutsche Lieferkettengesetz ist ein wichtiges Instrument im Bemühen, die Betriebe im Land zur Einhaltung ihrer Sorgfaltspflichten zu zwingen.


Lesen Sie den Bericht

BORDER JUSTICE

Widerstand gegen Racial Profiling in neuen EU-Grenzbestimmungen

Die EU will die noch ausstehenden Verhandlungen zur Reform des Asyl- und Migrationsrechts rasch zu Ende bringen. Geplant sind monatelange de-facto-Haft für Asylsuchende an den EU-Grenzen sowie ein eingeschränkter Zugang zu Rechtsbeistand. Artikel 5 der geplanten Regelungen ermöglicht darüber hinaus umfangreiche Screening-Maßnahmen, nicht nur an den Grenzen, sondern auch an beliebigen Punkten im Landesinneren. Als Begründung für derartige, oft mit Inhaftierung verbundene, Kontrollen genügt der Verdacht, ein*e undokumentierte Migrant*in zu sein. Insbesondere People of Color und rassifizierte Personen werden so einem Generalverdacht ausgesetzt, und die massive Ausweitung von Racial Profiling wird legalisiert. Gemeinsam mit über 80 Organisationen fordert das ECCHR die Gesetzgebenden in der EU auf, diese Screening-Bestimmungen zu streichen. 


Lesen Sie das Statement (nur auf Englisch verfügbar)

INSTITUT FÜR JURISTISCHE INTERVENTION

ECCHR präsentiert das Multimediaprojekt: Living Open Archive

Im Rahmen der Weiterentwicklung unserer Website präsentiert das ECCHR das Living Open Archive. Das Multimediaprojekt verbindet, in unterschiedlichen Formaten, die Erfahrung und Expertise des ECCHR aus den vergangenen 15 Jahren. Podcasts, Dossiers und audiovisuell erzählte Geschichten laden ein, die größeren Zusammenhänge unserer juristischen und politischen Interventionen zu erkunden. Die Multimedia-Story „15 Jahre Kampf für die Menschenrechte“ wirft einen Blick auf die Geschichte der Organisation und wichtige, unsere Methoden prägende, Meilensteine unseres Engagements.


Entdecken Sie das Living Open Archive

ECCHR-Schriftenreihe online und als Printausgabe verfügbar

Unsere neue Schriftenreihe beleuchtet drängende Menschenrechtsfragen in ihren größeren Zusammenhängen. Im Kontext der politischen, ökonomischen, sozialen und ökologischen Herausforderungen, die sich uns heute weltweit stellen, widmet sich jede Ausgabe innovativen Methoden, um den Kampf für globale Gerechtigkeit nicht nur juristisch zu führen.

Unter dem Titel „Beyond Limitations“ erörtert der Künstler und Aktivist Tomás Saraceno mit Generalsekrtär Wolfgang Kaleck utopische Visionen und indigene Perspektiven im Zusammenhang mit System- und Umweltproblemen, u.a. am Beispiel des Lithiumabbaus in Argentinien.

In „Challenging Corporate Power“ diskutieren Menschenrechtsanwält Gearóid Ó Cuinn und Legal Director Miriam Saage-Maaß Menschenrechtsprozesse als Medium gegen die Macht der Konzerne. Sie betonen einen systemischen Ansatz, der den Schutz individueller Rechte mit kollektivem Handeln verknüpft, um globalen Problemen wie Klimawandel und sozialer Ungleichheit etwas entgegenzusetzen.

Lesen Sie die Schriftenreihe online im Living Open Archive. Bestellen Sie die Druckausgabe unter info@ecchr.eu

FÜR GLOBALE GERECHTIGKEIT

Die Welt ist nur gerecht, wenn Menschenrechte universell gelten und

verwirklicht werden. Dafür kämpfen wir weltweit:
mit Betroffenen, mit Partner*innen, mit juristischen Mitteln.
Vielen Dank, dass Sie uns helfen, dieses Ziel zu erreichen.

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Aktuelle Stellenangebote

Wir sind auf der Suche nach einem Projektkoordinator (w/m/d) im Programmbereich
Völkerstraftaten und rechtliche Verantwortung.

Wir begrüßen neue Trainees

Amira Tamim ist seit Dezember Trainee im Team Völkerstraftaten und rechtliche Verantwortung

VERGANGENE VERANSTALTUNGEN

Wirksame Umsetzung der Gesetzgebung in den WEOG-Staaten: Das 12. UN-Forum zu Wirtschaft und Menschenrechten 2023

Das UN-Forum zu Wirtschaft und Menschenrechten untersuchte in den vergangenen Jahren mehrere Gesetze aus diesem Bereich, insbesondere Bestimmungen, die sich auf die obligatorische menschenrechtliche Sorgfaltspflicht beziehen. Am 28. November 2023 waren ECCHR Legal Director Miriam Saage-Maaß, Martin Scheltema, Hannah Edmonds-Camara, Helena Orella Salinas und Amanda Gorely Gäste einer von Robert McCorquodale moderierten Podiumsdiskussion. Sie diskutierten, worauf es bei der Implementierung derartiger Gesetze ankommt, um in Unternehmen menschenrechtliches Denken und Handeln zu fördern.


Aufzeichnung anschauen

11. Potsdamer Menschenrechtstag: "Wertebasierte Außenpolitik"

ECCHR-Generalsekretär Wolfgang Kaleck diskutierte am 5. Dezember 2023 gemeinsam mit Jürgen Tritten (außenpolitischer Sprecher der Partei Bündnis 90/Die Grünen) unter der Moderation von Professor Andreas Zimmermann (MenschenRechtsZentrum, Potsdam) über die stärkere Ausrichtung der deutschen und europäischen Außenpolitik am europäischen Engagement für Frieden, Freiheit, Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Nachhaltigkeit.

Die konkrete Utopie der Menschenrechte – 75 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

Am 11. Dezember zum 75-jährigen Jubiläum der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte lud Amnesty International und das Evangelische Dekanat Darmstadt in die Stadtkirche Darmstadt ein zu einem Vortrag von Wolfgang Kaleck, ECCHR-Generalsekretär und Träger des Hermann Kesten-Preises des PEN-Zentrums Deutschland. 2021 erschien sein Buch „Die konkrete Utopie der Menschenrechte. Ein Blick zurück in die Zukunft“.

PUBLIKATIONEN

Laura Duarte Reyes / Theresa Mockel

Klimagerechtigkeit verlangt mehr als gesenkte Emissionen

ECCHR, Dezember 2023

 

Sina Marx / Miriam Saage-Maaß / Annabell Brüggemann / Chloé Bailey

Keine Verträge, keine Rechte: Wie die Modeindustrie ihre Arbeiter*innen um Mindestlöhne betrügt

ECCHR und FEMNET, Dezember 2023

 

Wolfgang Kaleck

75 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

Der Spiegel, 10. Dezember 2023


Andreas Schüller

Schonungslos ausgesetzt: Wie das Gesetz die Kriegsanstrengungen mächtiger Staaten anstelle schutzbedürftiger Personen schützt (nur auf Englisch verfügbar)

Digital War, Dezember 2023

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