Von Wolfgang Kaleck, Generalsekretär„Die Ewigkeit ist vorbei“, sagte die syrische Menschenrechtsverteidigerin Joumana Seif am ersten Tag nach dem Sturz des Assad-Regimes. Seif, zugleich Anne-Klein-Preisträgerin 2023, arbeitet seit nunmehr fast acht Jahren mit uns im ECCHR in unserem bisher größten Einzelprojekt daran, die Verantwortlichen für das Folterregime vor Gericht zu bringen. 54 Jahre stand das Land unter der Vormundschaft einer Familiendiktatur: Sie beutete die syrische Gesellschaft systematisch aus, unterdrückte sie mit einer Kultur der Angst und verband Korruption und die Bereicherung Weniger mit einer polizeilich überwachten Abschottung nach chinesischem Vorbild.
Jetzt, nach der Befreiung, wird die Erfassung, Dokumentation und juristische Aufarbeitung der Staatsverbrechen des Assad-Regimes für den Aufbau eines zukünftigen demokratischen Syriens von enormer Bedeutung sein. Syrische Aktivist*innen, Anwält*innen und Überlebende haben in den vergangenen 13 Jahren gemeinsam mit einem Netzwerk internationaler zivilgesellschaftlicher Organisationen – so auch dem ECCHR – unermüdlich in diese Richtung gearbeitet. Nationale Strafverfolgungsbehörden in Drittstaaten haben riesige Mengen an Beweismaterial gesammelt, wegweisende Prozesse nach dem Weltrechtsprinzip haben bereits stattgefunden und die Vereinten Nationen haben eigens zwei Mechanismen zur Untersuchung von Gräueltaten eingerichtet.
Es geht um Abertausende von Verschwundenen, um systematische Folter, um undokumentierte Massengräber, um Kriegsverbrechen vom Giftgaseinsatz bis zu Massakern an der Zivilbevölkerung. Juristisch relevant sind die Befehlsketten der Verantwortlichen, sowohl der staatlichen Folterer, als auch – wenngleich in weit geringerem Maße – der selbsternannten Henker diverser Milizen. Erstmals besteht nun die Möglichkeit, nach Syrien und damit an die Tatorte und zu den allermeisten Tätern zu gelangen.
Mit unseren syrischen Partnerorganisationen diskutieren wir bereits, wie wir Syrer*innen jetzt dabei unterstützen können, einen nachhaltigen Prozess für rechtliche Verantwortlichkeit und Aufarbeitung in Gang zu setzen. Dass dies angesichts des jahrzehntelangen Grauens ein langer Weg sein wird, steht außer Frage. Jetzt geht es darum, die ersten Schritte innerhalb des Landes zu tun, damit auch die Frage der Gerechtigkeit in den Händen der Syrer*innen selbst liegt. Aber wir werden selbstverständlich auch unsere Fälle vor deutschen, französischen, norwegischen, schwedischen und österreichischen Strafverfolgungsbehörden weiter betreiben – und je nach Verlauf der Entwicklung in Syrien und in Absprache mit den syrischen Menschenrechtler*innen vor weiteren Foren aktiv werden.
Oder wie Joumana Seif es ausdrückte: „Jetzt wollen wir sehen, wofür wir all die Jahre gekämpft haben: Ein demokratisches Land mit gleicher Staatsbürgerschaft für alle, in dem die Rechte der Menschen, ihre Würde und ihre Bürgerrechte geschützt werden. Das ist der Traum, für den wir weiterkämpfen werden."
Sie können uns helfen, diesen Traum zu verwirklichen.
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