Blinder Fleck im syrischen Bürgerkrieg - unbeachtete Verbrechen in Afrin
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GERECHTIGKEIT FÜR AFRIN. IRREFÜHRENDES PALMÖL-SIEGEL. PUSHBACK-ÜBERLEBENDER LEGT BESCHWERDE EIN.

JANUAR 2024 | NEWSLETTER 95

Nach mehr als einem Jahrzehnt herrscht in Syrien weiterhin Bürgerkrieg. Obwohl die kürzlich in Deutschland gefällten Urteile gegen staatliche Folterer des Assad-Regimes auf Fortschritte bei der Aufarbeitung der in Syrien begangenen Verbrechen hinweisen, hat der syrische Bürgerkrieg nach wie vor blinde Flecken. In der Region Afrin im Nordosten Syriens bleiben Verbrechen gegen die überwiegend kurdische Bevölkerung häufig unbeachtet. Daher haben das ECCHR gemeinsam mit Überlebenden und Syrians for Truth and Justice (STJ) eine Strafanzeige bei der deutschen Bundesanwaltschaft eingereicht, in der sie zu umfassenden Ermittlungen wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit der pro-türkischen Milizen in Afrin auffordern. Lesen Sie mehr zu diesem und anderen Fällen in unserem aktuellen Newsletter.


Das ECCHR-Team

Einst Teil der kurdischen Selbstverwaltungszone, wird die Region Afrin heute weitgehend durch türkisch unterstützte Streitkräfte kontrolliert. Foto © Thomas Schmidinger

Afrin: Systematische Vertreibungen der kurdischen Bevölkerung

Im Januar 2018 begannen türkische Streitkräfte zusammen mit verbündeten bewaffneten Milizen der Syrischen Nationalarmee (SNA) im Rahmen der Militäraktion „Olivenzweig“ mit der Bombardierung der nordsyrischen Region Afrin. Die etwa zweimonatige Offensive führte zur Vertreibung von mehr als 300.000 überwiegend kurdischen Zivilist*innen. Unterstützt von der Türkei etablierten die Milizen ein repressives Herrschaftssystem, das bis heute fortbesteht. Was einst Teil der kurdischen Selbstverwaltungszone war – eine blühende, autonome Region entlang der Südgrenze der Türkei – geriet zunehmend unter türkische Kontrolle. Infolgedessen wurde die überwiegend kurdische Bevölkerung in Afrin zu großen Teilen vertrieben und enteignet. Unter der Herrschaft der von der Türkei unterstützten Milizen sind die verbliebenen kurdischen Zivilist*innen und andere ethnische Minderheiten, einschließlich der jesidischen Bevölkerung, systematischen Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Verhaftungen, Plünderungen und Tötungen, Folter und sexualisierte Gewalt ausgesetzt.


Um gegen diese Verbrechen vorzugehen, haben das ECCHR gemeinsam mit Überlebenden, STJ und ihren Partner*innen am 18. Januar 2024 eine Strafanzeige bei der deutschen Bundesanwaltschaft in Karlsruhe eingereicht und umfassende Ermittlungen hinsichtlich der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gefordert.


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VÖLKERSTRAFTATEN UND RECHTLICHE VERANTWORTUNG

Gaza: ECCHR fordert Strukturermittlungsverfahren

Angesichts des Todes deutscher Staatsangehöriger im Gaza-Krieg hat das ECCHR bei der Bundesanwaltschaft Strafermittlungen zur mutmaßlichen Tötung der deutsch-palästinensischen Familie Abdujadallah während eines israelischen Angriffs in Gaza gefordert. Das Ermittlungsgesuch unterstützt die Strafermittlungen der örtlichen Staatsanwaltschaft, nimmt jedoch kritisch Stellung zu der Aussage der Bundesanwaltschaft, dass es keine Anhaltspunkte für Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch gibt. Das ECCHR hat die Bundesanwaltschaft deshalb aufgefordert, Strukturermittlungsverfahren sowie gegebenenfalls personenbezogene Ermittlungsverfahren nach Straftaten des deutschen Völkerstrafgesetzbuches zu führen.

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AKTUELLES

Brasilien

Vor fünf Jahren, am 25. Januar 2019, brach der Damm im brasilianischen Brumadinho, bei dem 272 Menschen ums Leben kamen und das Trinkwasser Tausender verseucht wurde. Das deutsche Unternehmen TÜV Süd hatte nur vier Monate vor der Tragödie die Stabilität des Damms zertifiziert. Das Strafverfahren des ECCHR gegen TÜV SÜD ist noch nicht abgeschlossen.


Mehr zum Fall

Syrien

Vor einem Jahr, am 13. Januar, wurde in Deutschland ein hochrangiges Mitglied des syrischen Regimes wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Dieser historische Pionier-Prozess befasste sich mit den Staatsverbrechen in Syrien – darunter Folter, Mord und sexualisierte Gewalt. Das ECCHR unterstützte in dem Prozess 14 Nebenkläger*innen.


Mehr Informationen: Syrische Staatsfolter vor Gericht und Das Al-Khatib-Verfahren in Koblenz

WIRTSCHAFT UND MENSCHENRECHTE

Betreibt Edeka Greenwashing bei Palmölprodukten mit irreführendem Siegel?

Das Siegel des Runden Tisches für Nachhaltiges Palmöl (RSPO) ist auf diversen Eigenmarkenprodukten der Supermarktkette Edeka zu finden, insbesondere auf Margarine und Pflanzenöl. Jüngste Recherchen von ECCHR, foodwatch und einer Organisation aus Guatemala zeigen, dass es auf Palmölplantagen in Guatemala – woher Edeka sein Palmöl bezieht – zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begangen werden, die auch mit Umweltschäden und der Enteignung von indigenem Land verbunden sind. Daher gehen das ECCHR und foodwatch juristisch gegen die Handelskette Edeka vor, weil diese Verbraucher*innen mit einem Label für nachhaltiges Palmöl täuscht. Außerdem fordern die Organisationen gemeinsam mit Betroffenen aus Guatemala, dass Edeka solange kein Palmöl mehr von diesen Plantagen bezieht, bis sich die Situation vor Ort verbessert hat.


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Lafarge: Trotz Rückschlag, historischer Präzedenzfall bestätigt

Am 16. Januar bestätigte der Oberste Gerichtshof Frankreichs die Anklage gegen den französischen Zementhersteller Lafarge wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Lafarge soll etwa 13 Millionen Euro an verschiedene bewaffnete Gruppen in Syrien gezahlt haben, darunter den IS, um seine Zementfabrik während des syrischen Bürgerkriegs am Laufen zu halten. Lafarge ist das erste Unternehmen weltweit, das mit einer solchen Anklage konfrontiert wird. Das Gericht ließ jedoch die Anklage wegen Gefährdung des Lebens seiner ehemaligen syrischen Mitarbeiter*innen fallen, ein Rückschlag für die Betroffenen.


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Brüssel: Neue Einigung zum EU-Lieferkettengesetz

Im vergangenen Dezember erzielten der Rat und das Europäische Parlament eine vorläufige Einigung zu den strittigsten Punkten der EU-Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen in Hinblick auf Nachhaltigkeit. Demnach sind große Unternehmen verpflichtet, sich mit den Risiken für Menschen, Gemeinden und die Umwelt auseinanderzusetzen, die mit ihren Tätigkeiten und Geschäftsbeziehungen verbunden sind. Darüber hinaus können Menschen, die im Rahmen von Unternehmenstätigkeiten zu Schaden kommen, diese Unternehmen vor EU-Gerichten zur Verantwortung ziehen. Bedauerlicherweise sind Finanzdienstleistungen vorübergehend vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen, ebenso wie die zivilrechtliche Haftung in Bezug auf negative Auswirkungen des Klimawandels. Die vorläufige Einigung muss noch formell vom Europäischen Parlament und vom Rat angenommen werden.


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Foto © Thomas Schmidinger

Gerechtigkeit für die Menschen in Afrin

Um die Menschenrechte aller Betroffenen des Syrienkonflikts zu wahren, setzt sich das ECCHR dafür ein, dass das Völkerrecht gegenüber allen Täter*innen angewandt wird – auch gegen solche, die von europäischen Verbündeten wie der Türkei unterstützt werden.

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BORDER JUSTICE

Ceuta Pushback-Überlebender legt Beschwerde gegen Spanien ein

Am 6. Februar jährt sich der tödliche Pushback von El Tarajal / Ceuta zum zehnten Mal. In diesem Zusammenhang finden zahlreiche Gedenkveranstaltungen statt, um an die Opfer und all diejenigen zu erinnern, die durch die gewalttätigen Ereignisse an der Grenze getötet wurden. 10 Jahre nach den Ereignissen in El Tarajal setzt Ludovic N. seinen langen Kampf für Gerechtigkeit fort. Er war 15 Jahre alt, als er am 6. Februar 2014 von der Guardia Civil geschlagen und mit Tränengas angegriffen wurde, während er zusammen mit etwa 400 Menschen versuchte, am Strand von El Tarajal die Grenze zwischen Marokko und der spanischen Exklave Ceuta vom Meer aus schwimmend zu überwinden. Mindestens 15 Menschen kamen bei dem Einsatz der Guarda Civil ums Leben, viele weitere wurden schwer verletzt und 23 zurückgeschoben. Die Ermittlungen waren völlig unzureichend, da keiner der Überlebenden angehört wurde. Letztlich wurde das Verfahren gegen 16 Beamte eingestellt, weshalb Ludovic N. nun vor dem UN-Ausschuss gegen Folter klagt und hofft, dass die Straflosigkeit endlich ein Ende nimmt.


Hören Sie hier Ludovic N.
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Kroatiens Pushback-Praxis: „Ich wollte, dass die Menschen verstehen, wie sie unsere Leben aufs Spiel setzen, als ob wir nichts wert wären.“

Sami Barkal filmte die ersten bekannten Aufnahmen kroatischer Pushbacks, als er hinter der Grenze in Bosnien feststeckte. Damals, im Jahr 2018, reichte der junge Syrer sein Video an einen Journalisten der Zeitung „The Guardian” weiter. Es war das erste Mal, dass die Welt die Brutalität der kroatischen Beamt*innen an der Grenze sah. Seit fast fünf Jahren wartet Sami nun auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, vor dem er seine Klage gegen Kroatien eingereicht hatte.


Aktuelle Interviews mit Sami Barkal: The Guardian und BBC 

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INSTITUT FÜR JURISTISCHE INTERVENTION

ECCHR-Forderungen nach Reparationen und Restitution vom UN-Ausschuss aufgegriffen

Gemeinsam mit anderen Organisationen hat das ECCHR kürzlich einen Bericht beim UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung (CERD) eingereicht. Der Bericht kritisiert die Kontinuität zwischen der Kolonialvergangenheit Deutschlands und der rassistischen Diskriminierung in der Gegenwart, wobei der Schwerpunkt auf der fehlenden Rückgabe von Human Remains/Ancestors und kulturellen Objekten liegt. Zudem präsentierten wir auf der CERD-Sitzung zu Deutschland im November unsere Forderungen nach einer menschen- und grundrechtsbasierten Restitutionspraxis. In den „Abschließenden Bemerkungen“ griff der Ausschuss unsere Forderungen auf und forderte Deutschland erstmals ausdrücklich dazu auf, einen umfassenden Ansatz zur Reparation kolonialen Unrechts zu verfolgen, der die Teilhaberechte der betroffenen Nachkommen, Familien und Gemeinschaften hervorhebt.


Lesen Sie die Pressemitteilung und die „Abschließenden Bemerkungen”

FÜR GLOBALE GERECHTIGKEIT

Die Welt ist nur gerecht, wenn Menschenrechte universell gelten und

verwirklicht werden. Dafür kämpfen wir weltweit:
mit Betroffenen, mit Partner*innen, mit juristischen Mitteln.
Vielen Dank, dass Sie uns helfen, dieses Ziel zu erreichen.

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ECCHR

Wir begrüßen neue Teammitglieder und Trainees

Semiha Arslan-Kovacevic, seit Januar Leiterin Personalmanagement

 

Helena Krüger, seit Januar Legal Advisor im Team Völkerstraftaten und rechtliche Verantwortung

 

Tayma Saleh, seit Januar Werkstudentin im Institut für juristische Intervention für das Critical Legal Training

 

Selina Gerst, seit Januar Trainee im Team Border Justice

 

Anthea Frank, seit Januar Trainee im Team Völkerstraftaten und rechtliche Verantwortung

 

Valentin Büchi, Christian Klein und Florencia Otero, seit Januar Trainees im Team Wirtschaft und Menschenrechte

 

Martha Bracklo, seit Januar Praktikantin im Team Kommunikation und Fundraising

VERANSTALTUNGEN

Recht und Frieden: 3. Konsultation der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Friedenswerkstatt

Die EKD-Friedenswerkstatt zielt darauf ab, die protestantische Friedensethik angesichts veränderter geopolitischer Rahmenbedingungen, insbesondere im Hinblick auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, weiterzuentwickeln. Andreas Schüller vom ECCHR wird über die Rolle und die Herausforderungen der Internationalen Strafgerichtsbarkeit sprechen.


20. - 21. Februar, 13:30 Uhr, Evangelische Tagungsstätte Bad Boll, Akademieweg 11


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Stimmen für Afrin: Die unbeachteten Gräueltaten in Syrien

Am 6. März veranstalten das ECCHR und das Maxim Gorki Theater Berlin gemeinsam eine Podiumsdiskussion mit Expert*innen, darunter Sabiha Khalil, Patrick Kroker und Kristin Helberg, um über die politische Situation in Afrin und den anhaltenden Kampf für Gerechtigkeit der Betroffenen zu sprechen. Die Veranstaltung wird von Wassim Mukdad musikalisch begleitet.


6. März, 19:00 Uhr, Maxim Gorki Theater, Am Festungsgraben 2, Berlin


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VERGANGENE VERANSTALTUNGEN

Inherited Testimonies

Diese Live-Performance mit kulturell überlieferten, kollektiven Zeugnissen über den deutschen Völkermord in Namibia fand am 3. Dezember im Haus der Kulturen der Welt in Berlin statt. Hierbei berichteten traditionelle Anführer*innen und mündliche Historiker*innen in einer von Forensic Architecture/Forensis konzipierten immersiven Bild- und Tonumgebung.

Zwangsarbeit: Herausforderungen bei der Beweissammlung

Am 19. Dezember 2023 widmeten sich ECCHR und Anti-Slavery International in Brüssel den Problemen der Erhebung von Beweisen für Zwangsarbeit bei Ermittlungen in der EU.


Filmmaterial anschauen 

Publikation lesen 

(V.l.n.r) Adania Shibli, Maaza Mengiste and Wolfgang Kaleck.© ECCHR

Eine Nebensache: Lesung und Diskussion über Literatur und die Grenzen offizieller Geschichtsschreibung mit Adania Shibli und Maaza Mengiste, moderiert von Wolfgang Kaleck

Die jüngste Eskalation der Gewalt in Israel/Palästina führte dazu, dass das preisgekrönte Buch der palästinensischen Schriftstellerin Adania Shibli aus der Sphäre der Literatur verbannt wurde. In Zusammenarbeit mit der Spore-Initiative lud das ECCHR am 11. Januar zu einer Veranstaltung ein, um dem literarischen Werk die Anerkennung zu geben, die ihm zusteht.

Reparationen und Reparatur: Über Klimagerechtigkeit, Kolonialismus und das Kapitalozän

Was bedeuten „Reparationen“ im Kontext von Klimagerechtigkeit? Das Symposium am 20. Januar in der Akademie der Künste in Berlin befasste sich mit den historischen, ökonomischen und ökologischen Zusammenhängen des Klimawandels sowie den juristischen und politischen Reparationsansprüchen an die ehemaligen Kolonialmächte.

PUBLIKATIONEN

ECCHR und Anti-Slavery International

Out of reach: analysis of evidentiary standards in EU and US import bans to combat forced labour in supply chains (nur auf Englisch verfügbar)
Januar 2024

Wolfgang Kaleck

Interview: Der utopische Gehalt der Menschenrechte
Dezember 2023

ECCHR

Amicus Curiae Brief zum Ermittlungsverfahren in Bezug auf „Cast Lead” und „March of Return” (nur auf Spanisch verfügbar)
Dezember 2023

VIDEO

Gerechtigkeit für Afrin: Die unbeachteten Verbrechen in Syrien

Produziert von: Limo for Research, ECCHR und Syrians for Truth and Justice
In Kooperation mit der Sebastian Cobler Stiftung und Rosa-Luxemburg-Stiftung
Januar 2024

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